Filme
Frage: Wer hat Sie da angesprochen? Welche Art von Filmen haben Sie gemacht? Haben Sie nicht auch Industriefilme vertont?
Oskar Sala: Gewiß, der Stahlfilm war zum Beispiel einer für Mannesmann. Inzwischen gibt es Kataloge, in denen die Produktionen der Studios in der Welt zusammengetragen sind. Ich lese Ihnen mal hier vor, womit es bei mir angefangen hat: drei Filme des Regisseurs Willy Zielke, "Verzauberter Niederrhein", "Verlorene Freiheit" und der Industriefilm "Aluminium, Portrait eines Metalls", auffallend und mit dem höchsten Prädikat ausgezeichnet durch die künstlerische Gestaltung mit den neuartigen Farbfilmmöglichkeiten und - immerhin - durch die ungewöhnliche Tonbildsynchronität der elektronischen Klanggestaltung; eine Produktion der Münchner Gesellschaft für Bildende Filme, die auch den langen Bayerfilm "Schöpfung ohne Ende", mit 65 Minuten Mixturtrautoniumkompositionen, in der Kurzfassung immerhin noch 22 Minuten, produziert hat; aus Zürich kam Peter Moeschlins Film "Gefahr Nordwest", und der Berliner Filmproduzent Herbert Lander kam mit drei Ägyptenfilmen, die alle das höchste Prädikat "Besonders wertvoll" erhielten: "Gold der Pharaonen", "Im Tal der Künstler" und "Senedjems Weg ins Paradies".
Frage: Man sagt, Ihr berühmtestes Filmmusikschaffen seien die Klangkulissen zum Hitchcock-Film "Die Vögel". Wie kam die Begegnung mit Alfred Hitchcock zustande?
Oskar Sala: Wir lernten uns erst kennen am Schluß, als bei mir alles fertig war, im Dezember 1961 im Hause Mars-Film, wo sich mein Studio befand. Er kam zusammen mit Bernard Herrmann, seinem damaligen Hauskomponisten. Im großen Mischstudio des Filmateliers wurde ihm der Film mit allen meinen Klangeffekten vorgeführt. Danach wollte er unbedingt das Instrument sehen, was die Fotografen freute. Er freute sich, daß er acht Tage früher zu seinem Weihnachtsurlaub nach St. Moritz fahren konnte, da er vorgesehene Korrekturtage nicht brauchte.
Aufmerksam gemacht hatte ihn Remi Gassmann, Kompositionsschüler bei Hindemith zu meiner Zeit. Er kam Ende der fünfziger Jahre nach Berlin, war erstaunt über mein Studio und schlug vor, ein Ballett mit mir zu machen. Unsere Ballettmeisterin Tatjana Gsovsky brachte es 1960 an der Oper zur Aufführung. In den USA führte es sein Freund Balanchine auf, und bei dieser Gelegenheit lernte er die Crew von Hitchcock kennen, die ihm von ihren vergeblichen Versuchen berichteten, dem Meister für sein neuestes Werk passende Vogelakustik anzubieten. Sein Einwand: "Ach, das höre ich doch jeden Tag von den Möven und Krähen. Ich brauche etwas Ungewöhnliches, was die Leute erschreckt". Da gab ihm Gassmann den Tip, daß er jemanden kenne, der das wohl machen könnte, aber der säße in Berlin - und Rüberkommen mit seinem elektronischen Studio ausgeschlossen. Also schickten sie Gassmann mit einem Probeakt zurück, es war der Hausüberfall durch die Vögel. Ich machte ihn, es war ein bißchen Knochenarbeit. Da war ja nicht nur mit Möven, sondern auch mit Fenstern, Türen, Schränken, Nageln und Hämmern allerhand los; eine Art Gesellenprüfung für Synchrontechnik. Ich muß sie doch wohl bestanden haben, denn schließlich kam Gassmann mit dem totalen Film zurück.
Ich hatte inzwischen zwei Wochen Zeit für meine Freunde Alexander Seiler und Rob Gnant in Zürich, ihren wunderbaren Film "A fleur d’eau" zu vertonen, ein Film ohne Kommentator. Er kam 1962 zugleich mit Hitchcocks Film nach Cannes und war dort zunächst mal der große Erfolg: die "Goldene Palme" für Kurzfilme.
Frage: Sie haben doch auch die Landung auf dem Mond vertont. Wie kamen Sie zu dem Auftrag, Bildmaterial von der amerikanischen Weltraumbehörde zu vertonen?
Oskar Sala: Der Berliner Film- und Fernsehproduzent Manfred Durniok, den ich bei mehr als vierzig Produktionen musikalisch und mit elektronischen Klangeffekten aller Art betreut habe, kam 1976 von einer seiner vielen Weltreisen mit vier großen Büchsen NASA-Material in der Form 16mm Farbfilm und Negativ dazu zurück für einen Mondfilm, welcher Art auch immer. Schließlich beschlossen wir, so wie früher oft erfolgreich, einen Film ohne jeden Kommentar, also nur Film und Musik zu versuchen. Unter dem Titel "Eine Reise zum Mond" sollte eine mehraktige Form mit Zwischentiteln entstehen, und da seine Cutterinnen nicht gerade Mondexperten waren, schlug er vor: "Sie übernehmen auch den Bildschnitt. Es ist sicher gut, wenn bei diesem Projekt alles in einer Hand sein kann." Für mich als "Mondsüchtigen" war es schon aufregend, das riesige Bildmaterial von Armstrong bis Skylab durchzustudieren. Wenn ich die Zwischentitel mal nenne, haben Sie schon eine Vorstellung, was sich in dem etwa einstündigen Film tut: "Aufbruch", "Der blaue Planet", "Start zum Mond", "Landung auf dem Mond", "Menschen auf dem Mond", "Das Mondauto", "Zurück zur Erde".
Frage: Sie durften die Bildauswahl der von Ihnen vertonten Filme beeinflussen?
Oskar Sala: Na, so allgemein gilt das natürlich nicht. Aber in meiner langen Praxis gab es doch immer mal wieder Fälle, wo ich Schnittvorschläge oder auch einen Bildaustausch anregte. Insofern war der Mondfilm ein einmaliges großes Hauptvergnügen. Für den Mannesmann-Film "Stahl, Thema mit Variationen" wäre es eine Art Majestätsverbrechen gewesen, auch nur ein Bild zu ändern. Er wurde mir 1960 vom Regisseur Hugo Niebeling anvertraut mit dem ausdrücklichen Wunsch, mich exakt an seinen Synchron-Bildschnitt zu halten und die Klanggestaltung so gut wie nur möglich am Bildinhalt zu erfinden. "Ich will keinen naturalistischen Instrumentalklang haben, den gibts im Stahlwerk nicht". Nun, es war unser erster gemeinsamer Film. Es wäre projektgefährdend gewesen, wenn er irgendwo Orchester verlangt hätte. Uraufführung auf dem Industriefilm-Festival in Rouen, 1960. Der Film erhielt den "Grand Prix" des Festivals.
Frage: Für welche Firmen haben Sie noch Filme vertont?
Oskar Sala: Oh, das ist nicht so leicht zu beantworten, denn die meisten Firmen haben keine eigene Filmstelle und vergeben den Auftrag an potente Filmfirmen, wie schon erwähnt, zum Beispiel an die "Gesellschaft für Bildende Filme" in München, für die ich einige weitere bildschöne Industriefilme vertonen konnte, die höchste Prädikate erhielten. Bei den Großen fällt mir ein: der repräsentative Hundert-Jahre Jubiläumsfilm von Hoechst "Mit Farben begann es", bei BASF der Polyethylenfilm "Der Fächer" mit dem Musikpreis 1963 für mich auf dem Industriefilm-Festival in Berlin, und ebenfalls bei BASF der Film "Das Magische Band", in dem es eine Szene gibt, in der ein Trautoniummanual im Raum schwebt, darüber meine Hände, eine eigene Komposition spielend, die aber vom Band kam, vom Magischen eben; ein Spektakel, nicht länger als eine Minute, so lange dauert meine Komposition, aber spontaner Beifall bei der Uraufführung. Mir fällt noch ein Schweizer Film ein: "Der Schrittmacher", von der Sulzer AG-Maschinenfabrik in Winterthur, Regie Cennek Duba; ein Film über neue Methoden bei Webstühlen, mit raffinierten Bildsequenzen, Sie können sich vorstellen, was sich da in der Tonbildsynchronität alles tut!
Frage: Bei der Vertonung eines Films stellt doch immer die Synchronisierung ein Problem dar. Wie haben Sie das gelöst?
Oskar Sala: In mein elektronisches Studio kam, sobald es möglich wurde, ein Steenbeck-6-Teller-Filmschneidetisch. Man kann also zwei sogenannte Perfobänder (= besondere Tonbänder) zum Film einlegen, die dieselbe Perforation haben wie der Film, daher streng synchron bleiben, wenn die Kunst des Filmcutters sie erst mal bildsynchron angelegt oder, wenn nötig, bildsynchron hingeschnitten hat. Nachdem ich mir diese Technik durch Studium im Schneideraum bei meinen ersten Projekten angeeignet hatte, merkte ich bald, daß man in meiner elektronischen Musik Schnittmöglichkeiten hat, die man sich bei nichtelektronischer Musik niemals getrauen würde. Die Meinung der Cutterinnen: Was der da macht, dürfen wir nicht nachmachen!
Das zweite wichtige Studiogerät war eine Perfomaschine, auf der man diese Perfobänder bespielen kann. Denn direkt vom Mixturtrautonium wird natürlich mit der Schmalbandmaschine aufgenommen. Das gibt die Möglichkeit, diesen Umspielvorgang selbst kontrollieren zu können, zu wiederholen oder auch zu verändern. Und schließlich das Wichtigste: Der Schneidetisch ersetzt die Stoppuhr. Er wird direkt neben das Instrument gestellt und von mir bedient. Das Bild ist also immer da. Natürlich macht der Tisch ein Laufgeräusch, aber was tuts? Die elektronischen Töne werden ohne Mikrofon direkt auf das Tonband aufgespielt. Das Spiel nach Bild hat auch, wenn man, wie bei Hitchcocks Film, nicht direkt danach spielen kann, den Vorzug: Man kann Klänge ausprobieren. Nach meinen Erfahrungen gibt es einen aha-Moment, wo man plötzlich merkt: Ja, das war eben genau passend! - zum Beispiel der "Vogelschrei", widerwärtig, aber treffend, wie von ihm ausgestoßen! In diesem Falle genügte das. Später auf dem Perfoband wird er und seinesgleichen exakt zum Bild angelegt. Da die Schreie oft übereinander kommen, hat man das zweite Perfoband, um sie übereinander anzulegen. Man kann fragen, wie soll denn da etwas asynchron werden? Und wenn es asynchron werden soll, muß man es bewußt machen, aber nicht die Musik einfach weiternudeln lassen, in der Hoffnung, es wird schon mal wieder - zufällig - synchron werden.